2023: 1848/49 nach 175 Jahren (Theo Jung)
Jahresvortrag 2023
1848/49 nach 175 Jahren
Kritische Perspektiven auf eine demokratiegeschichtliche Vereinnahmung
Prof. Dr. Theo Jung
In einer Zeit, in der die Demokratie vielfach als von innen wie von außen bedroht wahrgenommen wird, ist Demokratiegeschichte gegenwärtig in aller Munde. Im Schulunterricht, an außerschulischen Lernorten, bei Gedenkveranstaltungen, in Ausstellungen und auf Festivals zeigt sich das Bemühen, die Auseinandersetzung mit der Geschichte für politische Bildungszwecke fruchtbar zu machen. Gleichzeitig haben solche Schwerpunktverschiebungen auch in der Geschichtswissenschaft neue Auseinandersetzungen mit der Demokratiegeschichte hervorgerufen. In Debatten über die Licht- und Schattenseiten des Kaiserreichs, über die Hohenzollern im Nationalsozialismus und über Hedwig Richters Versuch, die Demokratiegeschichte publikumswirksam als eine „deutsche Affäre“ zu erzählen, prallen unterschiedliche Positionen teilweise mit erheblicher rhetorischer Wucht aufeinander. Mit Blick auf das laufende 175-jährige Jubiläum fragt Theo Jung nach den Implikationen dieses neuen geschichtspolitischen Paradigmas für die historische Auseinandersetzung mit den Revolutionen von 1848/49. Inwiefern lassen sich die Ereignisse dieser Jahre als „demokratischer Aufbruch“ erzählen und wie verschiebt sich das Verhältnis zwischen historischen und gegenwärtigen Perspektiven, wenn die Komplexität des Revolutionsgeschehens auf die Vorgeschichte unserer Gegenwart reduziert wird?
Theo Jung ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den kulturellen und politischen Transformationsprozessen in Europa vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Unter anderem als Mitglied im Beirat der neuen Bundesstiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ engagiert er sich darüber hinaus an der Schnittstelle zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik.